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Läuft Washington gegen die “BRIC-Wall”?

Von F. William Engdahl, 7.2.05


Als Antwort auf die dreisten Schritte der Bush-Administration, sich mit ihrer Nato- und direkten US-Militärpräsenz in den bedeutendsten Energiezentren Eurasiens festzusetzen, unternehmen nun die wichtigsten eurasischen Mächte entschiedene Massnahmen zur Sicherung ihres eigenen Überlebens im Bereich Energieversorgung und militärische Verteidigung.

Wir stellen ein Geflecht von grösseren Handels- und Wirtschaftsabkommen fest, dessen Drehpunkte Peking, Moskau, Neu-Delhi, Brasilia und neuerdings auch Teheran sind. Im Jahre 2002 unterzeichneten vier Länder einen Handels- und Kooperationsvertrag und nannten ihn BRIC, was für die vier Länder Brasilien, Russland, Indien und China steht. Es ist eine Ironie des Schicksals, dass diese Massnahmen zur Selbstverteidigung die Länder Eurasiens (Frankreich, Deutschland und die EU sind hierbei ausser acht gelassen) unter Umständen auf einen Kollisionskurs mit Washington bringen könnten. Ihr Vorgehen ist genau die Art geopolitischer Herausforderung, die Bush in seinem Plan für die Sicherheit der Vereinigten Staaten vom September 2002, der sogenannten Bush-Doktrin, verhindern will.

Chinesisch-russische Militärmassnahmen

Am 27. Dezember kündigten Peking und Moskau ihre ersten gemeinsamen Militärübungen in China an. Dieser Zeitpunkt war eine deutliche Botschaft an Washington, eine Antwort auf die Einflussnahme in der Ukraine. Russland reagierte so auf den Druck auf seine westliche Grenze, indem es sich neuen Bündnissen im Osten zuwandte. Das könnte grössere strategische Folgen haben.

China verhält sich zurzeit geschickt und vermeidet provozierende Reden gegen Wash-ington. Für Putin bedeuten diese Massnahmen einen weiteren Schritt hin zu seinem schon lange angestrebten Dreieck Moskau-Peking-Neu-Delhi. China, das seit 1989 wegen der Vorfälle auf dem Tiananmen-Platz immer noch unter dem von den USA auferlegten Waffenembargo steht, ist Moskaus wichtigster Waffenkunde. Für China hat ein Bündnis mit Russland strategische Bedeutung, weil es damit einen besseren Zugang zu russischer Energie erhält. Es ist nun die grosse Frage, ob und in welchem Umfang Berlin und Paris sich distanzieren oder sich entschliessen werden, eine engere Kooperation mit Russland in energiepolitischer und strategischer Hinsicht zu entwickeln.

Chinas Schritte zur Sicherung der strategischen Rohstoffversorgung

Angesichts des sich abzeichnenden «Peak-Oil», das heisst der bevorstehenden weltweiten Ölknappheit, und angesichts des offensichtlichen Versuchs der USA, alle strategischen Knotenpunkte zu kontrollieren, sehen Russland, China und die EU sich gezwungen, eine strategische Sicherung ihrer Energieversorgung - möglicherweise mit Hilfe des Iran - anzustreben. Russland, die Staaten am Kaspischen Meer und der Iran stellen die einzig mögliche Energiealternative für China, Indien und die EU dar. Alle politischen Katz-und-Maus-Spiele zwischen Paris und Wash-ington, Berlin und Moskau bis nach Peking kreisen um diese harte Realität. Darum geht es, wenn manche von einem «neuen kalten Krieg» sprechen, einem kalten Krieg um Energie.

Im letzten September kündigte China an, es werde für 5,5 Milliarden Dollar Noranda, Kanadas grösste Bergbaugesellschaft, kaufen. Für China hat die Energiesicherung höchste Priorität. Im letzten Jahr überholte China Japan und wurde nach den USA der zweitgrösste Ölimporteur der Welt.

China umwarb Putin, um einen grösseren Anteil am problematischen Yukos-Öl-Reich zu ergattern. Kürzlich deutete Putin an, dass ein kleinerer Teil des Yukos-Konzerns an China und Indien verkauft werde.

Im September drohte China mit einem Veto in den Vereinten Nationen, um die US- Sanktionen gegen den Sudan wegen der Darfur-Krise zu stoppen. Die chinesische National-Petroleum-Company baute die Ölpipeline im Sudan, die von der Gegend um Darfur bis hin zu einem Hafen am Roten Meer verläuft, von wo aus das Öl nach China verschifft wird. Das grosse Nil-Öl-Projekt, an dem China 40% der Anteile besitzt, liefert 330000 Barrel pro Tag. Seit 1999 hat China 3 Milliarden Dollar in sudanesisches Öl investiert. Rund 7% der Energie Chinas kommen aus dem Sudan. Nachdem die USA Bagdad im März 2003 eingenommen hatten, verlor China riesige Ölverträge im Irak. Es ist offensichtlich, dass Peking in den US-Interventionen gegen Diktatoren oder Menschenrechtsverletzer ein geopolitisches Muster erkennt.

Kanada und Südamerika als Partner

Im Dezember bemühte sich China um einen grösseren Anteil an Kanadas riesigem Teerölsandgebiet in der Provinz Alberta. Der kanadische Ministerpräsident Paul Martin wurde Ende Januar nach Peking eingeladen. Die Teerölreserven in Alberta sind riesig, doch erfordert es einen hohen Aufwand an Energie, daraus Öl zu gewinnen, was dementsprechend teuer ist. Die Tatsache, dass China für diese schwer zu gewinnenden Ölreserven nun ein Angebot unterbreitet, zeigt die Dringlichkeit seiner weltweiten Suche nach sicherer Energie. Eine Pipeline würde zu einem neuen Umschlaghafen an der Westküste Kanadas verlaufen, von wo das Öl nach China weiterzutransportieren wäre.

Im November reiste Chinas Präsident Hu Jintao nach Brasilien, Argentinien und in andere südamerikanische Staaten, wo er Abkommen im Wert von 100 Milliarden Dollar unterzeichnete. Diese waren als Türöffner gedacht, um in diesen Ländern die Beteiligung an Öl und Gasprojekten zu sichern. Nach Hugo Chavez' Peking -Besuch im Dezember werden chinesische Gesellschaften demnächst 350 Millionen Dollar in venezolanische Ölfelder investieren und 120000 Barrel Rohöl im Monat importieren. Die Abkommen zwischen Argentinien und China über Eisenbahnen, Öl und Gas könnten sich auf 20 Milliarden Dollar belaufen.

Brasilien unterzeichnete 11 bilaterale Verträge mit China über Energie und Transport im Umfang von 10 Milliarden Dollar. Dieser Schritt in den Hinterhof Washingtons ist neu für China, und in Washington reagierte man mit Stirnrunzeln, da die USA Brasilien schon immer als eigene «Interessensphäre» betrachten.

«Kalter Krieg um das Öl»

Diese Verträge folgten unmittelbar auf das chinesisch-iranische Abkommen über Erdgas in einer Grössenordnung von 100 Milliarden Dollar, das im letzten Herbst unterzeichnet wurde. In den nächsten 25 Jahren könnte dieser Vertrag 200 Milliarden Dollar umfassen. China wird jährlich 10 Millionen Tonnen iranisches Flüssigerdgas importieren. Der Vertrag beinhaltet den Bau von 87 neuen Flüssiggas-Tankern in den nächsten 5 Jahren. Der Iran besitzt die zweitgrössten Gasreserven der Welt. Dieses Abkommen mit Peking setzt sich über die Sanktionsverordnung der USA gegen den Iran hinweg. Offensichtlich hofft der Iran, mit diesem wichtigen Abkommen EU-Investoren zu dem wagemutigen Schritt zu ermuntern, sich ebenfalls über die US-Sanktionen hinwegzusetzen.

Vor dem Jahr 2003 war der Nahe Osten Chinas wichtigster Ölimporteur gewesen. Seit dem Kollaps des Irak hat China neue Überlegungen angestellt und in fieberhaftem Tempo die Basis seiner Ölversorgung vergrössert. Im Moment liefern der Sudan und Angola einen Hauptteil, wobei Westafrika einen Anteil von 19% an den Importen hat. Bushs Reise nach Westafrika im Juli 2003 löste in Peking Alarm aus, vor allem als der Sudan von Washington gleichzeitig als Zielgebiet für «Menschenrechte» erklärt wurde und als Washington im August 2004 erneut den Versuch unternahm, den Venezolaner Hugo Chavez per Volksabstimmung aus seinem Amt zu drängen. Peking betrachtet dieses Vorgehen in jeder Hinsicht als einen globalen «kalten Krieg um das Öl».

Russlands Optionen

China bemüht sich weiterhin, mit Putin einen Vertrag über eine Pipeline zu unterzeichnen, die Öl von Russland nach China transportieren soll. Japan hat China bei Putin ausgestochen und eine Pipeline erworben, die unter Umgehung Chinas zum Hafen Nakhodka im fernen Osten Russlands führt. Am 1. Januar unterzeichnete Putin einen Vertrag über Ölexporte nach Japan von Ostsibi-rien zum Pazifischen Ozean. Offen ist jedoch immer noch, ob Russland auch eine Abzweigung nach China bauen wird. Russ -land ist offenbar sehr daran gelegen, grösstmögliche Flexibilität zu bewahren, um sich nicht zu sehr in Abhängigkeit von China zu begeben. Dennoch ist die engere Kooperation zwischen den beiden offensichtlich.

Ende Dezember kündigte der russische Energieminister Viktor Khristenko an, Chinas CNPC (China National Petroleum Cooperation) habe die Zusage erhalten, einen 20%igen Anteil an der Yukos-Tochtergesellschaft Yuganskneftegaz zu kaufen, die Rosneft im Dezember erworben hatte.

Gegen Jahresende schloss Russland einen Vertrag mit Brasilien ab, der den Bau eines Flüssiggaswerks in Brasilien zum Inhalt hat. Petrobras will mit zwei russischen Gesellschaften sowohl Öl- als auch Gasvorkommen in Brasilien ausbeuten. In einem anderen Abkommen geht es um den Bau einer russischen Ölraffinerie in Brasilien.

Indien mischt mit

Anfang 2004 lud Indien den brasilianischen Präsidenten Lula nach Neu-Delhi ein, wo die beiden über eine «Neue Handelsgeometrie» zwischen Süden und Süden sprachen. Es wurden Sonderzölle zwischen Indien und Mercosur* vereinbart. Brasilien würde Biobrennstoff, Zucker und Öl nach Indien exportieren.

Weiterhin unterzeichnete Indien im letzten Monat ein kombiniertes Handelsabkommen mit Russland und dem Iran über 40 Milliarden Dollar für langfristige Öllieferungen. Bestandteil des Abkommens sind auch die Einfuhr von natürlichem Gas nach Indien in den nächsten 25 Jahren und die Entwicklung iranischer Ölfelder. Indien wird eine 20%ige Beteiligung an Irans grösstem Ölfeld, Yadavaran und Jufeir, erhalten, wo 300000 Fass Öl pro Tag gefördert werden. Die chinesische Firma CNPC ist der Hauptförderer von Yadavaran. Jetzt hält Indien Anteile von 20%, Iran von 30% und China von 50% des riesigen Feldes. Iran sucht ganz offensichtlich mächtige Verbündete gegen den Druck der USA.

Indien ist auch Mitbieter im Kauf von Russ-lands Ölgiganten Yukos. Im letzten Oktober schlug Chinas Botschafter in Delhi eine Kooperation auf dem Gebiet der Energie zwischen den ehemaligen Rivalen des kalten Krieges, Indien und China, vor, ein Schritt, den Washington sicher nicht vorausgesehen hatte. Indiens Ölminister M.S. Aiyar war im Oktober in Moskau, um über eine «strategische Allianz» zu sprechen. Im selben Monat veranstaltete Indien auch den ersten runden Tisch der asiatischen Energieminister, dabei waren auch die Minister vom Persischen Golf und von China. Aiyar schlug einen gemeinsamen regionalen Petroleummarkt vor und einen eigenen asiatischen Benchmark (Bewertungsmassstab) für Rohöl. Das kommt einem potentiellen Schlag gegen die US -amerikanischen und britischen Ölgiganten gleich und gegen die Kontrolle, die sie mit Hilfe von NYMEX** und Brent*** ausüben. Auch schlug der Iran eine asiatische Bank für Energiefinanzen vor, die das Geld für die Projekte geben könnte.

BRIC auch militärisch von Bedeutung

Am 10. November 2004 berichtete der «India Daily»: «Der russische Präsident Putin nimmt eine führende Rolle in der mächtigsten Koalition der Regional- und Supermächte der Welt ein. Die Koalition besteht aus Indien, China, Russland und Brasilien. Das wird die Vorherrschaft der Supermacht Amerika brechen.» Zu dieser Koalition gehören die Shanghai Cooperation Organization (SCO), in der China, Russland, Tadschikistan, Kasachstan, Kirgisien und Usbekien zusammengeschlossen sind. Der Iran ist jetzt dabei, mit Hilfe der riesigen Energiedeals ein inoffizielles Mitglied der SCO zu werden. Brasilien bekam letzten November von der Internationalen Atomenergiebehörde grünes Licht für die Weiterentwicklung seiner Urananreicherung, nachdem Putin in Brasilien gewesen war. Wird Russland auch hier helfen, so wie es dem Iran bei der Atomanreicherung geholfen hat?

In diesem Kontext von BRIC haben Indien und China soeben beschlossen, in der Verteidigung enger zusammenzuarbeiten, nachdem der Chef der indischen Armee letztes Jahr in Peking gewesen war. Das wäre die erste Kooperation seit 10 Jahren. Der chinesische Abgeordnete Wen Jiabao wird in diesem Jahr nach Delhi reisen. Das erfuhr man im Zusammenhang mit der Ankündigung, dass China und Russland demnächst gemeinsame militärische Manöver in China abhalten werden.

Bush wirbt um Deutschland und Frankreich

Es erstaunt niemanden, dass die Bush-Regierung nun klassische Machtbalance-Diplomatie betreibt, um diesen Bewegungen gegenzusteuern. Bush wird demnächst Deutschland besuchen, um Schröder zu treffen, und zu einem späteren Zeitpunkt in diesem Jahr hat Bush Chirac persönlich ins Weisse Haus eingeladen. Er hofft ganz offensichtlich, die beiden Länder von der russisch-chinesischen Achse wegzubringen. Deutsche Industrielle und Geschäftsleute sind gespalten, was Russland angeht. Sie wollen die USA nicht verärgern. Andererseits wissen sie, dass die deutsche Wirtschaft immer mehr auf Russ-land angewiesen ist, weil man dringend Öl und Gas braucht. Als Schröder letzten September Putin in Oslo traf, bat er ihn, der Ruhrgas (E.O.N.) eine 20%ige Beteiligung an Gasprom zu gewähren anstatt der jetzigen 6%. Zwei Wochen davor war Schröder in London gewesen - so berichteten deutsche Zeitungen -, um an Geheimverhandlungen teilzunehmen über die Möglichkeit, gemeinsam mit BP eine Pipeline durch das Baltikum zu führen, damit man sibirisches Gas nach Deutschland bringen könnte, ohne den Weg über die Ukraine benutzen zu müssen.

Dieses Muster strategischer Energieverhandlungen ist ein Signal dafür, dass sich zwischen den wichtigsten Ländern Eurasiens und Washington eine grössere Konfrontation anbahnt - genau das hat Brzezinski 1997 in seinem Buch Die einzige Weltmacht befürchtet.

*Mercosur: Gemeinsamer Markt des Südens, 1991 gegründet. Mitglieder sind eine Reihe südamerikanischer Staaten. Seit dem 1.1.2000 bilden Mitgliedstaaten eine Zollunion.

**NYMEX: Die grösste Terminbörse für Energie und Edelmetalle in Nordamerika.

***Brent: Bezeichnung für das Nordseeöl. Qualitätsbezeichnung, die mit einem anderen Preis als dem des Opec-Öls verbunden ist.

Aus: Zeit-Fragen, Nr. 6, 2005

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Über den Autor

Geboren 1944, wuchs zwischen den Ölfeldern von Texas auf. Das mag der Grund sein, warum ihn die Beschäftigung mit der technisch und politisch aufregenden Welt des Öls nicht mehr losließ.

Seit über 30 Jahren ist er wissenschaftlich und journalistisch tätig. Er hat seither Arbeiten über die verschiedensten Aspekte internationaler Öl-, Energie- und Wirtschaftspolitik in unterschiedlichen Magazinen und Zeitschriften veröffentlicht, unter anderem auch in TIPRO-Reporter, dem Magazin der unabhängigen Ölförderer in Texas.

Darüber hinaus hat er regelmäßig Beiträge über internationale Wirtschafts- und Energiefragen in verschiedenen Zeitschriften veröffentlicht, unter anderem in European Banker, Business Banker International, Grant`sInvestor, Nikon Keizai Shimbun (Japan) und Foresight Magazine. Der Autor lebt heute als freier Schriftsteller in der Nähe von Frankfurt am Main.

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